Die Tätigkeit als niedergelassener Arzt ist trotz aller Widrigkeiten immer noch mein Traumberuf. Als Niedergelassener bin ich als Arzt tätig und gleichzeitig Unternehmer. Ich kann im Rahmen der gesetzlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen frei entscheiden, wie ich meine Praxis führen möchte. Damit eine Praxis langfristig bestehen kann, ist es existenziell wichtig, sich mit dem Thema Betriebswirtschaft bereits vor der Niederlassung zu beschäftigen.
Hierbei wird oftmals unterschätzt, wieviel Gewinn eine Arztpraxis erzielen muss, damit ich als Praxisinhaber einem Angestellten finanziell zumindest gleichgestellt bin.
Es scheint so einfach: Verdient ein angestellter Arzt ein Jahresgehalt von 90.000€ brutto, so wäre man als Selbstständiger doch bereits mit jedem sechsstelligen Jahresgehalt finanziell bessergestellt. Dem ist leider nicht so.
Denn: Als niedergelassener Arzt trage ich das Risiko der Selbstständigkeit. Dies bedeutet, dass ich nicht nur die Beiträge zur Pflege- und Krankenversicherung sowie Ärzteversorgung (Rentenversicherung) selber zahle, sondern auch das wirtschaftliche Risiko der Arztpraxis trage. Kommen weniger Patienten, sinkt mein Umsatz. Steigen meine Kosten, sinkt mein Gewinn. Zudem ist zu berücksichtigen, dass aufgrund des Risikos das eingesetzte Kapital auch Rendite erwirtschaften muss.
Das Wort „Rendite“ ist zwar zunehmend negativ besetzt, bedeutet jedoch nur, dass man eine monetäre Vergütung für ein monetäres Risiko erhält. Wird Risiko nicht vergütet, so macht es keinen Sinn es einzugehen.
Genauso gut könnte ich als Angestellter das von mir als Selbstständiger in die eigene Praxis investierte Kapital auch am Kapitalmarkt oder Immobilienmarkt anlegen. Hierdurch würde ich eine entsprechende Rendite auf das eingesetzte Kapital erzielen, auch Opportunitätskosten genannt. Eine Investition in die eigene Praxis muss deshalb ebenso eine Kapitalrendite erwirtschaften. Dies muss in der Gesamtkalkulation berücksichtigt werden.
An einer fiktiven Beispielrechnung möchte ich Ihnen darlegen, wie eine Gesamtkalkulation für den Vergleich Anstellung vs. Selbstständigkeit aussehen könnte.
Nehmen wir an, ich arbeite in einem bayerischen Krankenhaus als angestellter Facharzt für Orthopädie. Mein Jahresgehalt betrüge 90.000 € brutto und ich bin gesetzlich versichert. In diesem Fall bezahlt mein Arbeitgeber knapp 14.000 € an Lohnnebenkosten für Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung.
Hinweis: Die Beitragsbemessungsgrenzen sorgen dafür, dass die prozentuale Belastung durch Lohnnebenkosten für den Arbeitgeber niedriger ist als der Durchschnitt von 21%.
Meinen Brutto-Stundenlohn errechne ich unter der Annahme, dass ich pro Jahr 30 Tage Urlaubsanspruch habe und 50 Wochenarbeitsstunden (ohne Vergütung der Mehrarbeit) leiste.
90.000€/46 Arbeitswochen = 1.957€ je Arbeitswoche
1.957€/50 Stunden Wochenarbeitszeit = 39,14€ Vorsteuergewinn je Arbeitsstunde des Arztes
Mein Gewinn als Niedergelassener müsste also 39,14€ pro Stunde überschreiten und schon hätte sich die Selbstständigkeit gelohnt. Das stimmt so leider nicht.
Als Selbstständiger arbeite ich unter Berücksichtigung von Verwaltungstätigkeiten, die außerhalb der Praxisöffnungszeiten anfallen, etwa 70 Stunden pro Woche.
Diese 70 Wochenarbeitsstunden leiste ich ebenfalls 46 Wochen pro Jahr. Der Gewinn meiner Arztpraxis muss folglich zur Erreichung desselben Brutto-Stundenlohnes bereits 126.030€ betragen.
Allerdings fehlen bei dieser Berechnung noch die Lohnnebenkosten, welche vereinfacht mit rund 14.000€ angesetzt werden. In der Realität wird dieser Betrag höher liegen, da eine umfassendere Absicherung für das Rentenalter sinnvoll ist. Der Gewinn meiner Arztpraxis muss somit mindestens 140.000€ betragen, damit ich als Selbstständiger den gleichen Stundenlohn eines Angestellten erziele.
Bezogen auf ein Brutto-Gesamteinkommen von 90.000€ würde ich als Selbstständiger durch die höhere Wochenarbeitszeit nur noch einen Brutto-Stundenlohn in Höhe von 27,95€ erwirtschaften. Das heißt, mein Brutto-Stundenlohn als Selbstständiger wäre ca. 28% niedriger als in der Anstellung.
Dabei bleibt es jedoch nicht. Wie bereits erwähnt muss das eingesetzte Kapital eine Rendite erzielen. Denn: Das Kapital unterliegt einem Risiko. Eine Rendite ist die Vergütung für das eingegangene Risiko. Ein praktisches Beispiel: Für die eigene Arztpraxis benötige ich eine technische Ausstattung wie zum Beispiel ein Röntgengerät. Die Kosten werden zwar zumeist fremdfinanziert, das Geld also von Banken geliehen. Das Risiko bleibt aber bei mir.
Doch was bedeutet das Kapitalrisiko nun genau für mich?
Lassen Sie uns hierzu eine kleine Kalkulation anstellen:
Konzerne streben häufig hohe Kapitalrenditen in der Größenordnung von 10% an. Als niedergelassener Arzt bin ich jedoch in erster Linie meinem Versorgungsauftrag und nicht der Gewinnmaximierung verpflichtet. Lassen Sie uns daher pauschal 5% anzuvisierende Kapitalrendite annehmen.
Zudem treffen wir die Annahme, dass ich meinen KV-Sitz für 300.000€ gekauft und anschließend ungefähr 100.000€ in die Ausstattung der Arztpraxis gesteckt habe. Ob Barzahlung oder Finanzierung bei der Bank spielt hier keine Rolle. In Summe habe ich also Kapital in Höhe von 400.000€ aufgewendet. Bei der anvisierten Kapitalrendite in Höhe von 5% muss meine Praxis folglich einen zusätzlichen Gewinn in Höhe von 20.000€ jährlich erwirtschaften. Zusammen mit den 140.000€ als Gehaltsäquivalent muss ich in meiner Praxis also mindestens einen jährlichen Gewinn von 160.000€ erwirtschaften, um finanziell der Anstellung gleichgestellt zu sein.
Ein bislang unberücksichtigtes, jedoch relevantes Thema in der Selbstständigkeit ist die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
Erhalten Angestellte im Falle einer Erkrankung in den ersten sechs Wochen eine Lohnfortzahlung und anschließend Krankentagegeld, so erhält ein Selbstständiger zunächst nichts. Nicht nur verdiene ich in dieser Zeit kein Geld, meine Fixkosten wie die Raummiete und Personalkosten laufen ungemindert weiter. Jeder Krankheitstag kostet mich also bares Geld.
Hierfür gibt es Krankentagegeldversicherungen. Problem gelöst! Nicht wirklich. Wie Sie anhand einer kurzen Recherche sicherlich nachvollziehen können, sind solche Versicherungen, die bereits ab dem ersten Krankheitstag zahlen beinahe unbezahlbar. Die Kompromisslösung: Eine Krankentagegeldversicherung, die erst nach sechs Wochen Krankheit mit der Auszahlung beginnt. Bedeutet für mich, dass ich im Notfall erst nach sechs Wochen Krankheitsdauer abgesichert bin. Die ersten sechs Wochen hingegen sind und bleiben unversichert und reißen schnell ein klaffendes Loch in meine Kasse.
Dieses Risiko zu berechnen ist schwierig. Eine exakte Kalkulation zu postulieren wäre unseriös, lassen Sie uns daher eine Annäherung versuchen.
Bei einem benötigten Jahresgewinn von mindestens 160.000€ in 46 Arbeitswochen pro Jahr, muss jede Woche ein Gewinn in Höhe von fast 3.500€ erwirtschaftet werden. Da Umsatz nicht gleich Gewinn ist, nehme ich hier einen Kostenanteil von 56% (Durchschnittswert laut Statistischem Bundesamt, 2015) an. Zur Erzielung eines wöchentlichen Gewinnes von 3.500€ müssen folglich knapp 8.000€ Umsatz pro Woche erzielt werden.
Im Krankheitsfall muss ich nicht nur auf die Gewinne verzichten und private Ausgaben wie Miete und Lebensmittel von Erspartem finanzieren, sondern alle betrieblichen Kosten laufen ebenfalls ungemindert weiter. Eine Woche Krankheit kostet mich in diesem Beispiel folglich nicht 3.500€, sondern 8.000€.
Nun ist es natürlich schwierig zu definieren, wie viele Tage im Jahr ich als Selbstständiger krankheitsbedingt ausfalle. Ein Blick in die Zahlen des Statistischen Bundesamtes verrät jedoch, dass Arbeitnehmer in 2019 im Durchschnitt 10,9 Tage krankgemeldet sind. Nehmen wir vereinfachend zehn Arbeitstage, also zwei Arbeitswochen an, so müssen jährlich weitere 16.000€ erwirtschaftet werden. Der Jahresgewinn meiner Arztpraxis muss also rund 180.000€ betragen, damit ich einem Angestellten mit einem Jahresgehalt von 90.000€ wahrlich gleichgestellt bin.
Hinweis: Womöglich können Krankheitstage auch nachgearbeitet werden. Es ist und bleibt eine rechnerische Annäherung an den benötigten Jahresgewinn eines niedergelassenen Arztes, der mindestens erzielt werden muss, um gegenüber dem Angestelltendasein bessergestellt zu sein.
180.000€ / 46 Arbeitswochen = 3.900€ Gewinn pro Arbeitswoche
3.900€ / 70 Stunden Wochenarbeitszeit = 56€ Brutto-Stundenlohn
Bitte beachten: Es handelt sich hier um den Brutto-Stundenlohn, nicht Umsatz! Alle Kosten müssen bereits abgegolten sein.
Nun, hierfür gibt es leider keine pauschale Antwort. Es hängt stark von der Umsatzrendite, also dem Anteil des Umsatzes, der nach Abzug aller Kosten für den Praxisinhaber als Gewinn übrigbleibt.
Laut Statistischem Bundesamt erzielt ein Facharzt der Orthopädie im Durchschnitt einen Umsatz in Höhe von 461.000€. Nach Abzug der meisten Nebenkosten – so findet das Risiko der Selbstständigkeit, der fehlende Arbeitgeberanteil zu den Sozialversicherungen, die fehlende Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und die Kapitalrendite keinerlei Berücksichtigung – in Höhe von 55,7% des Umsatzes, bleibt je Praxisinhaber ein durchschnittlicher Gewinn vor Steuern von knapp 204.000€.
Umsatzrendite in Prozent × Umsatz = Vorsteuergewinn der Arztpraxis
Nehmen wir an, dass mir von 100€ Umsatz 44€ Gewinn bleiben.
Meine Umsatzrendite beträgt also 44%. Wie oben berechnet, muss der Gewinn der Arztpraxis vor Steuern bei etwa 180.000€ jährlich liegen. Nur dann bin ich als selbstständiger Arzt auf Basis des Brutto-Stundenlohns gegenüber dem angestellten Arzt mit einem Brutto-Jahresgehalt von 90.000€ finanziell zumindest gleichgestellt.
0,44 × Umsatz = 180.000€
Umsatz = 409.000€
Als Einzelkämpfer ist der Gewinn der Arztpraxis vor Steuern dem Bruttoeinkommen gleichzusetzen.
Mein Umsatz je Arbeitsstunde in diesem Modell muss also mindestens 409.000€ / (70 Arbeitsstunden pro Arbeitswoche × 46 Arbeitswochen) = 127,–€ betragen.
Bei einer Kostenquote von 55,7% muss der Umsatz bei rund 409.000€ liegen. Die durchschnittliche Facharztpraxis für Orthopädie erzielt hingegen einen Umsatz in Höhe von 461.000€.
Daraus lässt sich schließen, dass der durchschnittlich niedergelassene Facharzt für Orthopädie brutto je Stunde mehr verdient, als ein angestellter Arzt. Die Selbstständigkeit lohnt sich für den durchschnittlichen Orthopäden also.
Führen Sie die Berechnung doch einmal für Ihre Arztpraxis durch.
Dr. med. Markus Schürkens ist seit vielen Jahren niedergelassener Facharzt für Orthopädie und seit 2011 geschäftsführender Gesellschafter des OrthoCentrum Saale. Zudem ist er Gründungspartner der Beratungsfirma zshochzwei, die sich auf die Beratung und Begleitung von orthopädischen und unfallchirurgischen Praxen spezialisiert hat. Hierbei liegt der Fokus auf der Optimierung der Praxisabläufe, um die Wirtschaftlichkeit der Praxen bei unveränderter Patientenstruktur zu erhöhen.
Dieser Artikel erschien zuerst im Infobrief 3/2021 des BVOU – HIER online abrufbar.
Wir reden nicht nur über Strukturen, sondern leben sie auch. Gerne können Sie sich persönlich in unserer konservativen orthopädischen Arztpraxis von strukturierten Arbeitsweisen im Praxisalltag überzeugen.